Die erste Universal Biografie

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Mike Oldfield – Light And Shade

„Genau das ist das Problem“, stöhnt Mike Oldfield. „Ich passe einfach in keine der gängigen Schubladen.“

Noch immer stolz und trotzig, hat es der Mann hinter „Tubular Bells“ – jenem Album-Phänomen, das ihn vom Teenage-Wunder zur Ein-Mann-Revolution werden ließ – bis zu diesem Tage geschafft, sich stets treu zu bleiben, sich nie ablenken zu lassen. Ob er nun verqueren Pop, Grenzen sprengenden Rock, progressiv-ruhige oder orchestrale Sound-Manöver kreierte, sich keltischen oder afrikanischen Klängen annahm (bevor diese musikalischen Stile durch die Decke gingen), gediegene Chill-Out-Welten oder im Netz vertretene Virtual-Reality-Spiele entwarf (mit dazugehöriger Musik natürlich), oder auch seine Musik für den Horror-Klassiker „Der Exorzist“ oder den Soundtrack zu „The Killing Fields – Schreiendes Land“ beisteuerte – stets konnte man klar raushören, was für ein einzigartiges Talent Mike Oldfield ist. Genau genommen bezeichnet er sich nicht einmal als Musiker. „Ich bin eher ein Techniker, der seine Ideen in Töne umformt.“ Doch wie soll man diesen Sound dann nennen? Könnte es vielleicht sogar sein, dass ein Fan mit seiner im Internet hinterlassenen Definition gar nicht mal so falsch lag, als er „Oldfield Progressive“ schrieb?

Dieser Tage steht nun die Veröffentlichung eines Doppelalbums an – einerseits wäre da „Light“, auf dem seine Ambient/Chill-Out-Gehirnhälfte repräsentiert wird (auch wenn Oldfield solche Klassifizierungen hasst!). Dazu präsentiert er mit „Shade“ das düstere, schwergewichtigere Gegenstück. „Das sind die beiden Seiten meiner musikalischen Persönlichkeit.“

Gemeinsam sind beide Hälften eine süchtigmachende Mischung aus simplen (Versatz-)Stücken und atemberaubender Komplexität. Mal hält sich Oldfield in der Nähe elektronischer Dance-Musik („Quicksilver“, „Slipstream“, „Romance“) auf, dann präsentiert er sich mit einem Hauch von Blues versehen („Closer“), erforscht aber auf Songs wie „The Gate“ mit seinen beängstigenden Melancholie-Anflügen und „Tears Of An Angel“, das von Minimalismus bis Gitarren-Exzess alles bereithält (sogar afrikanische Vibes), noch weitere Stil-Exkursionen. Selbst wenn ein Song wie „First Steps“ mit zehn Minuten Länge nicht allzu leicht verdaulich wirken mag, hat man es bei „Light And Shade“ mit einem vergleichsweise leicht zugänglichen Oldfield-Album zu tun. Er gibt einem immer wieder neue Ausgangspunkte, neue Eindrücke an die Hand (insofern ist das Album in gewisser Weise mit seinen Computerspiel-Arbeiten vergleichbar). Fragt man Oldfield dann jedoch, wo und wie er dieses neue Werk in seiner 23jährigen Solo-Karriere (mit stolzen 22 Alben) einordnen würde, wird man wiederum nicht viel mehr als ein Stöhnen vernehmen können: „Ich fange einfach an, und dann sehe ich, wo ich ankomme“, ist seine Antwort. „Ich hab das schon oft gesagt, aber ich fühle mich eher wie ein Filter. Die Inspiration kommt von ganz tief innen. Ich muss jedes Mal verdammt hart daran arbeiten, damit sie auch raus kommt, aber inzwischen habe ich glücklicherweise genügend Erfahrung, so dass ich weiß, wann es klappt: Wenn ich die Musik mache, dann wird das meistens nichts. Wenn mich aber die Inspiration erst einmal infiziert hat, dann läuft alles wie von selbst.“

„Light And Shade“ erscheint nach einer dreijährigen Phase, in der Oldfield ausschließlich an zwei Virtual-Reality-Spielen gearbeitet hat: „Tres Lunas“ (2001) und „Maestro“ (2003). „Die Arbeit an diesen Projekten fühlte sich richtiggehend wie eine Auszeit an, wie Urlaub von der Musik. Bis ich dann eines Tages wusste, dass ich mich wieder gänzlich auf die Musik stürzen musste. Wenn man ein komplett leeres Blatt vor sich hat, dann ist es in der Regel das Beste, sich ein wenig in der Gegend umzuschauen. Als ich dann feststellte, wie sehr sich die technischen Möglichkeiten innerhalb dieser drei Jahre verändert hatten, wurde mir auch klar, dass mein Studio letztlich überflüssig geworden war. Ich konnte auf einmal alles mit dem Computer anstellen, der reichte völlig aus. Also ließ ich einen LKW und acht Typen kommen, die dann alles ausräumten… ich war nicht einmal verunsichert dadurch, eher gespannt, was denn nun wohl die neuen Freiräume füllen würde. Es ist unfassbar, was man heute alles machen kann. Man stellt sich etwas vor, und von dort aus sind es nur ein paar Mouse-Clicks, und – Bingo – da hast du dein gewünschtes Resultat! Fertig!“

Sicherlich – dieser Mann ist es gewohnt, alleine zu arbeiten. Schon im Jahr 1971, als er gerade an den Demo-Versionen für das grandiose „Tubular Bells“-Album arbeitete (von dem bis heute 16 Millionen Einheiten verkauft sind), kämpfte Mike ganz alleine mit den Herausforderungen, die sich ihm in seiner in Tottenham gelegenen Wohnung stellten. Damals arbeitete er noch auf Gerätschaften, die er sich vom einstigen Soft-Machine-Gründer Kevin Ayers geliehen hatte. In dessen Background-Trio – The Whole World – hatte Mike zuvor als 16jähriger Gitarren-Virtuose gespielt, bis er dann seine eigenen, damals noch recht Folk-lastigen Entwürfe auf den Weg brachte. Mit seinem neuen Album hat er sich wiederum in eine ähnliche Situation begeben: Denn „Light And Shade“ wurde ebenfalls zu Hause aufgenommen, in Chalfont St. Giles in Buckinghamshire, wenn auch „in“ (oder auf) der aktuellen Variante eines Homestudios – nämlich seinem Computer, den er mit FL-Studio-Software ausgerüstet hat, besser bekannt als Fruity Loops. „Die Gerüste der einzelnen Tracks sind jeweils programmiert. Aber ich habe diesen Gitarren-Sound, bzw. eigentlich mehrere Gitarren-Sounds, daher wollte ich auch die Gitarre auf fast allen Stücken einsetzen. Bei ein paar Stücken habe ich mich sogar einzig aufs Piano beschränkt – und das, obwohl ich ein ziemlich mieser Klavierspieler bin.“

Mike hatte ursprünglich eine andere Art von Album geplant: „Ich wollte ein großes, ein kompliziertes Album machen, eins, das ein bisschen wie meine frühen Arbeiten klingt, wie `Tubular Bells´, auf dem schließlich auch an die 30, 40 Sektionen vertreten waren. Es sollte ein wenig wie Monty Python sein – `And now for something completely different!´, von schön zu verrückt und wieder zurück. Aber diese Art des Arbeitens hätte das Album zu sehr mit den Siebzigern verbunden, und das wollte ich auch nicht wirklich. Da hörte ich ein Compilation-Album von Buddha Bar in Paris, wobei deren Doppel-CD in zwei Teile, `Dinner´ und `Party´, aufgeteilt war, mit zwei verschiedenen Genres auf beiden CDs. Auch wenn ich die Buddha Bar-Musik gar nicht so wirklich mochte, wusste ich doch, dass ich auf jeden Fall etwas Vergleichbares auf die Beine stellen wollte.“

Macht man sich allerdings auf die Suche nach tiefer gehenden Einsichten in die Person hinter der Musik, sieht man sich schon den nächsten Schwierigkeiten gegenüber. „Ich kann meine Arbeit nicht in Worten beschreiben, dafür habe ich doch die Musik.“ Und wenn er dann mal ein paar Worte benutzt, dann gibt’s gleich Probleme. Und dennoch kann man Gift darauf nehmen, dass diejenigen, die „Tubular Bells“ lieben – entweder als Original, oder aber einen der Nachfolger „Tubular Bells II“ (1992), „Tubular Bells III“ (1998) oder auch die Platte zum dreißigjährigen Jubiläum „Tubular Bells 2003“ –, sicherlich genauso über die Musik denken, wie der Mann es tut, der sich dahinter verbirgt: „eine Art Monty Python als Symphonie“.

Dem fügt Mike noch hinzu, „dass es bis dato nichts gegeben hat, was so war, wie dieses Album“. Er hat sich weiterentwickelt, und das ohne andere Einflüsse außer seiner eigenen Muse. Er ist besagter Muse stets treu geblieben, ganz gleich, was für Veränderungen die Musik-Welt durchlebt hat – so wurde er beispielsweise nach einer Handvoll grandioser Alben als Komponist und Multiinstrumentalist einfach so von der Punk-Welle weggespült: „Im Falle des Punk hatte ich das Gefühl, dass keiner mehr so recht wusste, wie man weitermachen sollte. Daher haben sie einfach alles kaputt gemacht. Ich fand das alles ziemlich unpassend, ein Desaster.“ Mike geht sogar noch weiter: Er sagt, dass Punk indirekt zu vielen Rowdy-Aktionen geführt hat: „Schließlich kann man sich sicher sein, dass diejenigen, die andere auf der Straße zusammenschlagen, eher einen Johnny Rotten als Idol angeben. Sie würden niemals meinen Namen in den Mund nehmen, wenn es um Vorbilder geht.“ Außerdem gibt er heute zu, dass er zu jener Zeit Probleme damit hatte, ins Rampenlicht zurückzukehren. Er tat sich schwer mit Live-Auftritten: „Damals war ich psychisch wirklich angeknackst, unsicher, ich war mental ganz schön verwirrt. Ich hatte Panikattacken und paranoide Anfälle – ich habe letztlich 20 Jahre Psychotherapie gebraucht, um darüber wegzukommen. Jetzt erst habe ich die Stärke und Persönlichkeit wieder gewonnen, um aufzustehen und mich selbst auch zu zeigen.“

Mit wachsendem Selbstvertrauen, dazu stets mit persönlichen und künstlerischen Dingen jonglierend, hat sich Mike dazu entschlossen, seine neuen Stücke einzeln vorzustellen. So liest es sich also, wenn Mike Oldfield einem „Light And Shade“ genauestens erläutert…

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Veröffentlicht am, 16.09.2005, auf www.hibernaculum.de mit freundlicher Genehmigung von Universal Music.